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Zahlreiche hessische Schüler besuchen Gymnasien in Gerstungen und Vacha
Von Jan Eisenberg Hersfelder Zeitung
Die vier jungen Waldhessen sind keine Einzelfälle. Insgesamt 447 hessische Kinder und Jugendliche besuchen laut Auskunft der Pressestelle des Wartburgkreises zurzeit die Gymnasien in Vacha und Gerstungen.
Am Johann-Gottfried-Seume-Gymnasium in Vacha kommen 64 der 563 Schüler aus dem Nachbarland. Zum nächsten Schuljahr haben sich weitere sechs angemeldet. Diese Zahl sei vergleichbar mit den Anmeldungen vergangener Jahre und habe sich auch nach Einführung der verkürzten Gymnasialzeit (G8) in Hessen nicht verringert, sagt Schulleiterin Angelika Poppitz. Am Seume-Gymnasium müsse wegen der hessischen Schüler weder eine zusätzliche Klasse eingerichtet werden, noch sei der Bestand des Gymnasiums gefährdet, wenn die Hessen wegblieben.
Anders setzt sich das Schülerverhältnis am Gerstunger Melanchthon-Gymnasium zusammen. Von den derzeit 722 Schülern pendeln 383, also mehr als die Hälfte, aus dem Nachbarkreis Hersfeld-Rotenburg ein.
Für das kommende Schuljahr haben sich 66 thüringische und 55 hessische Kinder angemeldet. Damit wird in diesem Jahr die Höchstschülerzahl, die der Kreistag des Wartburgkreises wegen begrenzter Raumkapazitäten festgesetzt hat, überschritten.
Schulleiter Gerald Taubert hofft trotzdem, niemanden abweisen zu müssen. Die Schule habe einen Ausnahmeantrag beim Landkreis gestellt, berichtet er. Da der derzeit stärkste Jahrgang in diesem Sommer die Schule mit dem Abitur verlässt, sieht Taubert durchaus Chancen, alle aufnehmen zu können.
Alternative: Losentscheid
Werde die Ausnahmegenehmigung nicht erteilt, müsse unter den hessischen Schülern gelost werden. Für alle thüringischen Kinder und alle Hessen, deren Geschwister die Schule bereits besuchen, sei ein Schulplatz sicher.
„Der Ausnahmeantrag wird derzeit geprüft“, teilte Katrin Volk, Pressesprecherin des Wartburgkreises, dazu auf Anfrage mit.
AUCH BILDUNGSPENDLER AUS THÜRINGEN
„Bei uns gibt es ein Zentralabitur nach zwölf Jahren“, benennt der Gerstunger Schulleiter Gerald Taubert den Hauptgrund, warum sein Gymnasium bei den hessischen Nachbarn so beliebt ist. Auch nach Einführung von G8 in Hessen habe der Zuspruch nicht abgenommen. In Thüringen habe man eben seit 17 Jahren Erfahrung mit acht Gymnasialjahren, die Lehrpläne seien nicht überfrachtet. Straffe Organisation und Unterrichtsqualität sieht der Schulleiter als weitere Gründe für den Zulauf an. „Warum sonst sollten so viele Eltern ihre Kinder zu uns schicken, obwohl die Fahrtkosten nur anteilig erstattet werden?“, fragt Taubert nicht ohne Stolz.
Kaum Erfahrungsaustausch
Besonders bedauernswert sei es, dass kaum ein Erfahrungsaustausch zwischen hessischen und thüringischen Schulen stattfinde. Dabei könnten doch beide Seiten voneinander profitieren.
„Im Kreis Hersfeld-Rotenburg gab es damals keine gymnasiale Eingangsklasse“, begründet Björn Becker, warum er nach Thüringen zur Schule pendelt. Der 18-jährige Bebraer ist Schülersprecher am Melanchthon-Gymnasium. Daneben sei aber auch der gute Ruf der Schule ausschlaggebend gewesen. Für seinen Nachnamensvetter und Stellvertreter Tim Becker waren die Gründe weitgehend gleich. Daneben, betonen beide, sei die Schule mit dem Zug gut zu erreichen. Die gute Erreichbarkeit steht auch für die Philippsthaler Achtklässler Maximilian Schott und Jordan Boeldt im Vordergrund. „Das Gymnasium in Vacha ist näher als die anderen Schulen und die Busfahrt dauert nicht so lang“, sagt der 14-jährige Jordan. Und wenn man mal den Bus verpasst habe, könne man sogar nach Hause laufen. „Ich glaube aber auch, dass der Anspruch hier höher ist, als in Hessen“, ergänzt sein Klassenkamerad Max. Und auch die Lehrerin in der Philippsthaler Grundschule habe geraten, nach der vierten Klasse direkt das Gymnasium zu besuchen.
Nicht nur von Hessen nach Thüringen pendeln die Schüler, sondern auch in umgekehrter Richtung. Insgesamt 14 Jugendliche aus den thüringischen Nachbarorten wie Berka, Dippach aber auch Vacha besuchen derzeit nach Auskunft des stellvertretenden Schulleiters Gerhard Ferenzkiewicz die Werratalschule. Die Möglichkeiten, parallel zum Abitur eine Berufsausbildung zum chemisch-technischen Assistenten zu absolvieren oder aufbauend auf den Realschulabschluss das Abitur zu machen, zögen Schüler an.
„Aber auch in der Mittelstufe kommen einzelne Kinder aus Thüringen“, berichtet Ferenzkiewicz. Die Tendenz sei dabei steigend.
Er sehe die thüringischen Schulen nicht als Konkurrenz. Die Werratalschule versuche täglich, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen. „Für manche Eltern muss es aber ein richtiges Gymnasium sein“, sagt Ferenzkiewicz.