100 Jahre Schulstandort Gerstungen. Dies ist berechtigter Anlass für viele, dieses Jubiläum gebührend zu feiern. Es ist aber auch Anlass, Höhen und Tiefen der Entwicklung aufzuzeigen, zu analysieren und folglich die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Mit dem Bau der Eisenbahnlinie in und um Gerstungen im Jahr 1849 wurde durch die nunmehr sehr gute verkehrstechnische Anbindung eine wesentliche Voraussetzung für die Industrialisierung im Werratal geschaffen. Es dauerte aber noch mehrere Jahrzehnte, bevor man auch die Gesetzmäßigkeit erkannte, dass Bildung und wirtschaftlicher Fortschritt eine untrennbare Einheit darstellen.
Die Gründung der privaten Vereinsschule im Jahr 1905 war der Beginn der bisher 100-jährigen Schultradition in Gerstungen. Zwei Weltkriege, die sich ändernde Wirtschaftslage, aber auch vor allem die Politik bestimmten das weitere Profil der Gerstunger Schulen. Aus der Vereinsschule wurde 1923 die Staatliche Realschule mit der Abschlussmöglichkeit der „Mittleren Reife“. Nach der Ernennung der Schule zur deutschen Oberschule im Jahr 1937 konnte vier Jahre später zum ersten Mal in Gerstungen das Abitur abgelegt werden.
Trotz der kurzzeitigen Bildung einer sozialistischen Einheitsschule im Jahr 1950 konnte Gerstungen bis zum Jahr 1982 die Grundschule, die Mittelschule (POS) und auch die Oberschule (EOS) behaupten. Sanierungsstau an den Schulgebäuden und das staatlicherseits unerwünschte Vorhandensein einer Oberschule im Grenzgebiet veranlassten die damaligen Verantwortlichen die EOS zu schließen.
Mit der Wende und der Wiedervereinigung Deutschlands gingen wesentliche änderungen des Schulsystems einher. Durch einen sehr engagierten Schulförderverein, umsichtige Lehrer sowie verantwortungsbewusste Kommunalpolitiker konnte Gerstungen als traditioneller Schulstandort aufgewertet werden. Neben einer umfangreichen Sanierung der heutigen Regelschule gelang es, 1991 die Oberschule – das Gymnasium – nach Gerstungen zurückzuholen. In einer „Nacht- und Nebelaktion“ wurde innerhalb weniger Monate ein nicht mehr benötigtes Verwaltungsgebäude der DDR-Grenzkontrollorgane zum Gymnasium umgebaut.
Mehrere Anbauten am Gymnasium, der Sporthallenneubau und besonders das hohe Bildungsniveau sowie das gute Schulklima sorgen dafür, dass das Gerstunger Gymnasium heute weit über die Ortsgrenze hinaus bekannt ist und von 734 Schülern angenommen wird.
Unabhängig von der positiven Entwicklung im gymnasialen Bereich hat die Schulentwicklung in Gerstungen auch Rückschläge zu verzeichnen. Zwar war die Verlagerung unserer Grundschule nach Herda in den 90er Jahren sehr schmerzlich, aber auf Grund des wesentlich besseren Schulgebäudes und der ruhigen kinderfreundlichen Lage eine akzeptable Entscheidung für Schüler und Eltern.
Leider müssen wir gerade im Jubiläumsjahr mit dem Verlust unserer Regelschule rechnen. Trotz bester Standortbedingungen und Erfüllung aller Kriterien der Schulnetzplanung fiel im Kreistag die Entscheidung zu Ungunsten von unseren Schülern und Eltern.
In der Hoffnung, dass auch für unsere Haupt-, Real- und Grundschüler doch noch eine bessere zukunftsorientierte Lösung gefunden wird, wünsche ich allen ehemaligen Absolventen von Gerstunger Schulen, Lehrern, Schülern und Gästen schöne Jubiläumsveranstaltungen und einen angenehmen Aufenthalt in Gerstungen.
Werner Hartung
Bürgermeister