Zum Gespräch miteinander geboren

europische_melanchthonakademie_bretten_-_wanderausstellung_melanchthon_-_grenzen_berwindender ehemalige Bürgermeister von Gerstungen, Herr Schramm, schreibt über die Eröffnungsveranstaltung der Melanchthonausstellung:

Man war darauf gefasst, eine Feierstunde gewohnter Art zu erleben. Doch aus der Eröffnungsveranstaltung für die im Atrium des Gerstunger Gymnasiums aufgebaute Ausstellung „Melanchthon – Grenzen überwinden“ übertraf eine solche Erwartung. Sie hatte die Qualität eines Kolloquiums. Die Themenstellung fordert heraus, nachzulesen und nachzudenken. Dabei war der Bogen zu spannen von innereuropäischen Grenzsituationen, auch geschichtlich betrachtet, bis hin zum Überwinden von Grenzen durch das soziale Gefüge der an der Gerstunger Einrichtung lernenden Schüler, die von der deutschen Teilung herrühren. Und was hat Philipp Melanchthon damit zu tun?
Der Festredner Pfarrer Horst Leckner und vormaliger Lehrer an der Schule, erwähnte zu bewältigende Grenzüberschreitungen in seinem Leben zwischen Ost und West und kam dann auf Grenzsituationen zu sprechen, die im Leben des großen Gelehrten eine Rolle spielten. Besonders interessant waren seine Ausführungen über damalige Veränderungen im System der Wissenschaften. Die Theologie verlor ihre Vorrangstellung und Kanon der Fächer wurde erweitert. Bei Philipp Melanchthon gab es keine Ausgrenzung. Er war Humanist – einer jener damaligen Reformer unter den Gelehrten Europas, die das Studium der antiken Schriftzeugnisse als Grundvoraussetzung für ihre Tätigkeit ansahen. Und er war gleichzeitig Theologe. Das Fazit: Die Dinge sind im großen Gesamtzusammenhang zu sehen. Auf unsere Zeit bezogen gilt: Was die Naturwissenschaften auch immer entdecken und an Anwendungsmöglichkeiten herausfinden, es müssen stets die Folgen bedacht werden, und hier sind Theologie und Ethik gefragt.

Von den Gästen sprachen als Vertreter der evangelischen Kirche Probst Reinhard Werneburg, Domkapitular Dr. Hans Andreas Egenolf vom bischöflichen Ordinariat Erfurt als Vertreter der katholischen Kirche, Landrat Reinhard Krebs und Frau Dr. Elke Menzel vom Staatlichen Schulamt Eisenach Grußworte. Sie würdigten die Bedeutung der Bildungseinrichtung als Schule der deutschen Einheit – diesen Beinamen soll sie demnächst feierlich verliehen bekommen – und das Wirken Philipp Melanchthons. Dieser war auch Pädagoge und sah in der Bildung die entscheidende Voraussetzung für die „Entrohung“ der Menschen und sodann die Heraus-bildung einer menschlichen Persönlichkeit. Bezogen auf den täglichen Unterricht formulierte er didaktische Prinzipien und Regeln, dem Inhalt nach auch heute noch jedem studierten Pädagogen vertraut.

In die gesprochenen Worte wurden Musikbeiträge eingefügt. Es sangen der Ober- und Mittelstufenchor klang-schön mit jungen Mädchenstimmen und der Gemischte Chor Oberellen in bemerkenswerter Harmonie Lieder mit zum Anlass passenden Texten. Am Klavier bewährten sich die Schülerin und die Schüler Stefanie Schlothauer, Matthias Janzen und Lukas Michulla. Originell war die Idee, Philipp Melanchthon selbst auftreten zu lassen. In damaliger gelehrtentypischer Kleidung trug der Schüler Simon Wetterau Texte aus dessen Feder vor. Einen zeitgenössischen Text im Sinne Melanchthons „Dialog mit der Jugend“ rezitierte ausdrucksvoll der Schüler Hanns-Dieter Hüsch.

Gespannt waren die Zuhörer auf den Beitrag des Vertreters der katholischen Kirche gewesen, war doch Philipp Melanchthon engster Mitarbeiter Martin Luthers. Dieser hob hervor, dass jener stets zum Dialog bereit war. Passend dazu hatte Gert Lindner, stellvertretender Direktor, bereits in seiner Begrüßungsansprache den großen Gelehrten zitiert: „Wir sind zum Gespräch miteinander geboren.“

M. Schramm