Abiturrede der Eltern am 29.06.2007

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
verehrte Lehrerinnen und Lehrer,
liebe Eltern und Gäste,

vielen Dank dafür, dass wir als Eltern an diesem Ehrentag einige Worte an Euch und Sie
richten dürfen.

„Schule der Einheit“ – dieser Begriff ist heute oft gefallen. Und so stehen hier ein ehemaliger
Panzeraufklärer der Bundeswehr aus Hessen und ein ehemaliger Funker der Nationalen
Volksarmee aus Thüringen in trauter Eintracht vor Ihnen. Vor 18 Jahren – als unsere Kinder
zur Welt kamen – undenkbar.

Was bei Politikern oftmals nur leere Worte sind, haben unsere Kinder in den letzten Jahren
ausgelebt und das Wort Einheit in der Praxis umgesetzt. Und heute beenden sie
gemeinsam ihre Schulzeit.

Es ist erst wenige Stunden her, da ließ Frau Weyh uns beiden spontan mitteilen, dass wir
die Ehre haben, heute und hier als Stimme der Eltern auftreten zu möchten.

Ursprünglich wollten wir Ihr diese Rede noch zur Zensur – Verzeihung: Korrektur vorlegen,
haben aber aus Zeitgründen darauf verzichtet.

Apropos Zeitgründe: wir sind sehr froh darüber, dass sich die zeitliche Organisation des
heutigen Tages nicht über die gesamte Schulzeit erstreckt hat.

Sehr oft sind heute die Begriffe „Eltern“, „Schüler“, „Pädagogen“ und „Abitur“ genannt
worden. Das schreit förmlich nach einer Begriffserläuterung:

Der Begriff „Eltern“ kommt von alt, damit sage ich Ihnen nichts Neues.

Aber das Wort Schule kommt aus dem Griechischen „SCOLE“ und bedeutet ursprünglich:
freie Zeit, Müßiggang, Nichtstun. Diesem Anspruch kommt die heutige Schule nur noch
bedingt nach.

Das ist noch nicht alles:

Der Pädagoge, griechisch „PAIDAGOGOS“, war der Sklave, der die Schüler zur „SCOLE“
brachte, also dorthin, wo sie sich der Muße und dem Nichtstun hingeben konnten.

Und das Wort Abitur kommt vom lateinischen „ABIRE“ – davon gehen.

Ich fasse zusammen, womit wir es bei dieser Feier zu tun haben:

Die Kinder reicher Eltern,
die sich – begleitet von Sklaven,
jahrelang der Muße hingegeben haben,
wollen nun den Ort des Müßiggangs verlassen, um etwas Produktives zu tun.

Wenn das kein Grund zum Feiern ist.

Alles muss klein beginnen.
Lass etwas Zeit verrinnen.
Es muss nur Kraft gewinnen
Und endlich ist es groß.

Mit diesem Liedtext von Gerhard Schöne wurden unsere Kinder vor acht Jahren im
Atrium des Gymnasiums vom Chor begrüßt.

Klein begonnen haben damals 113 Schüler aus 23 Orten in Ost und West.
Verronnen sind seitdem acht zum Teil recht ereignisreiche Jahre.

In diesen Jahren konntet ihr euch nach dem Willen der vermeintlichen „Sklaven“ zu
eurem Leidwesen nicht nur der Muße hingeben. Es gab doch viel zu lernen und zu
arbeiten.

Trotzdem oder gerade deswegen seid ihr in dieser Zeit zu einer eingeschworenen
Gemeinschaft geworden. Diese Gemeinschaft hatte zusammen viele schöne Erlebnisse
in Form von Klassenfahrten, Studienfahrten und Feiern. Sie hatte aber auch viele
Hindernisse zu überwinden.

Auf rein schulischer Seite kam zum Ende der 10. Klasse die „BLF“, die besondere
Leistungsfeststellung (auch Eltern lernen während der Schulzeit viel Neues dazu) .

Kurze Zeit später folgte eine Aufgabe, von der sonst sturmerprobte Eltern und auch
manche Lehrer nur mit einem leichten Zittern in der Stimme und Schweiß auf der
Stirn erzählen. Da wurde von wundersamen Vergrößerungen der Familie berichtet,
von Kindern, die über Tage verschwanden um dann in irgendwelchen Arbeitszimmern
aufgefunden zu werden. PCs und Telefonleitungen wurden auf unbestimmte Zeit
blockiert und Kühlschränke geplündert.

Es kam die Zeit der SF, der heute schon von Schülerseite genannten
Seminarfacharbeit.

Auch diese Zeit hat die Gemeinschaft aus Schülern, aber auch aus Eltern und Lehrern,
mit der Kraft, die alle zusammen gewonnen haben, gemeistert, um letztendlich nach
der letzten und vielleicht auch größten Hürde, dem nun bestandenen Abitur, hier
zusammen zu sein.

Und diese Gemeinschaft war nicht einfach so da, sie hat sich Stück für Stück entwickelt.

Ihr habt uns immer wieder vor Augen geführt, dass hier „zusammengewachsen ist, was
zusammen gehört“.

Zwischen den zahllosen Exkursionen und Studienfahrten gab es immer wieder Tage, an
denen normaler Unterricht absolviert werden musste. Auch so etwas schweißt zusammen!

In eure aktive Schulzeit fielen wichtige Jubiläen: das 10jährige Bestehen des so genannten
PMG (Pie Emm Dschie) war eines davon. Bei der Durchführung der entsprechenden
Festveranstaltungen konnte man auf euch zählen.

2005 gab es dann 100 Jahre höhere Bildung in Gerstungen zu feiern.

Und gestern Abend lief deutschlandweit der Actionfilm „Stirb langsam – 4 Punkt 0″ an. In
der Hauptrolle natürlich Bruce Willis.

Was hat das mit unserem Gymnasium zu tun – wird sich der eine oder andere fragen.

Am 20. April des Jahres 2005 verübten Bildungsterroristen einen schweren Anschlag auf
unser Gymnasium. Stirb langsam, hieß es plötzlich, das Gymnasium sollte geschlossen
werden.

Und das mitten in der Prüfungszeit. Und im 100. Jahr der höheren Bildung. Doch die
Bildungsterroristen hatten einen wichtigen Faktor nicht berücksichtigt: Euch.

Bereits in der Nacht sausten SMEsse durch den äther und Mails durch das Netz.
Es begann spontan ein bis dahin ungeahnter Widerstand und Kampf für den Fortbestand
unserer Schule, wie ihn Europa bis dahin noch nicht gesehen hatten.

Es waren viele am Kampf beteiligt, Eltern, Lehrer, Thüringer, Hessen – aber ohne eure
Ideen, euren Mut und euer Durchhaltevermögen würde diese Schule heute wohl nicht mehr
existieren.

Bewahrt euch diese Erfahrung sorgsam auf. Ihr habt selbst erfahren, dass der kleine Mann
in unserer Demokratie sehr wohl etwas ausrichten kann.

Und ihr habt verhindert, dass ein Stück innerdeutsche Grenze wieder aufgebaut werden
konnte.

Auch die Wildecker Herzbuben haben sich für uns stark gemacht. Und dem Wilfried Gliem,
dem älteren Herzbuben seine Frau, das ist die Großcousine von der Mutter von Bruce
Willis. Soviel zum Thema „Stirb langsam – 4 Punkt 0“.

. .. und endlich ist es groß.

Von den 113 Kleinen, die vor acht Jahren begonnen haben, sind nun noch 88 Große
übrig geblieben.
Wobei die reine Masse – als physikalische Größe – vielleicht sogar gleich geblieben
ist.

Besonders hervorzuheben ist dabei, dass alle 88, die zum „Davongehen“ – wir
erinnern uns an die Bedeutung des Wortes Abitur – angetreten sind, die Prüfung auch
bestanden haben.

Dies ist bei Weitem nicht immer und nicht überall so. Es ist  vor allem auch ein
Beweis dafür, dass hier eine Gemeinschaft entstanden ist, die nicht nur zusammen
feiern und Spaß haben, sondern auch lernen und einander helfen kann.
Denn ganz alleine schaffen sicherlich die wenigsten den Weg, der hinter euch liegt.

Wenn ich die diesjährigen Abiturientinnen und Abiturienten so anschaue, dann
graut es mir vor der Zukunft  . . .  nicht.

Heute ist also ein Tag des Abschieds für Schüler, Eltern und Lehrer. Es ist aber auch ein
Tag des Neubeginns für euch Abiturienten.

„Abi looking for Freedom“ – das ist Euer diesjähriges Motto.

Nach dem grenzenlosen Stress und Druck der Zeit am Gymnasium wollt Ihr endlich die
grenzenlose Freiheit auskosten.

Jetzt endlich könnt Ihr eure Träume ausleben und genießen, z.B. beim Bund, beim
Zivildienst, im sozialen Jahr, bei der Lehre oder beim Studium.

Aber der Stress und Druck über die letzten Jahre waren nicht vergebens: Diamanten
können nur unter hohem Druck entstehen.

Und Ihr seid unsere Rohdiamanten, die sich nun in der Praxis ihren Feinschliff holen.

So bleibt uns nur noch DANKE zu sagen.

Wir danken vor allem euch, den Schülerinnen und Schülern – und sei es nur dafür,
dass ihr uns wieder einmal Gelegenheit gegeben habt, stolz auf euch zu sein.

Des Weiteren danken wir den Lehrern, die euch bis hierher begleitet haben.

Erich Kästner hat einmal gesagt, dass man die Kinder nur vernünftig erziehen kann,
wenn man zuvor die Lehrer vernünftig erzieht.

Hierzu können wir aus unserer Sicht feststellen, dass dies zum Glück selten
erforderlich war. Vielmehr blicken wir auf acht Jahre guter Zusammenarbeit zurück,
in denen wir mit unseren Sorgen und Anliegen immer auf offene Ohren stießen.

Unser Dank gilt  auch den Elternvertretern, die Bindeglied zwischen Elternschaft und
Schule waren, für die Mitarbeit und das Engagement in all den Jahren.

Sollten wir hier noch jemanden vergessen haben, so möge sie oder er gewiss sein, dass
auch ihr oder ihm unser Dank gilt.

Da Reden meist mit Zitaten kluger Menschen enden, wollen auch wir diese Tradition
nicht brechen und so schließen wir mit den  Worten eines Nobelpreisträgers :
„Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man vergisst, was man gelernt hat.“

Vielen Dank.